Rückblick auf fünf Jahrzehnte Motocross im „Talkessel“
Motocross in Teutschenthal – das ist hochklassiger, internationaler Motorsport auf einer Rennstrecke mit Tradition. Wenn die internationale Motocross-Elite jedes Jahr beim „Grand Prix of Germany“ zur Motocross-Weltmeisterschaft an der Startlinie Aufstellung nimmt, liegt ein 1.565 Meter langer, anspruchsvoller Rundkurs vor ihnen, auf dem seit nunmehr 50 Jahren Motocrosser auf höchstem sportlichen Niveau über Sprunghügel und durch Talpassagen jagen.
Es war im Oktober 1966, als etwa 25 Kilometer westlich von Halle (Saale) erstmals die Motoren von Motocross-Maschinen aufheulten. Der DDR-Meister in der 500ccm-Klasse wurde im Schatten der großen Kalihalde gesucht, begleitet von einem offenen Rennen in der 125ccm-Klasse. Papierfähnchen dienten damals als Streckenbegrenzung. Das Fahrerlager war mit Schneezäunen abgegrenzt und zur Maschinenabnahme ein Armeezelt aufgebaut. So provisorisch das klingt, schon bei diesen ersten Rennen waren professionelle Organisatoren am Werk. Sie kamen von der Rennstrecke „Halle-Saale-Schleife“, die den Planungen für die riesige, neu gegründete Plattenbau-Stadt Halle-Neustadt zum Opfer gefallen war.
„Wir haben damals überlegt, was man motorsportlich in der Region sonst noch machen könnte“, erinnert sich MSC-Vorsitzender Joachim Jahnke und Gründungsmitglied des im Herbst 1966 gegründetes Motorsportclubs Teutschenthal. Da durch den Erfurter Ausnahme-Fahrer Paul Friedrichs der Motocross-Sport in der DDR gerade hoch im Kurs stand, wurde nach einer geeigneten MX-Strecke gesucht und ein entsprechendes Gelände direkt vor den Toren von Halle, am Rande von Teutschenthal, gefunden – ein Areal, das bis in die Nachkriegszeit hinein noch für Kohlebergbau und als Kiesgrube genutzt wurde. Wo sich heute das Fahrerlager erstreckt, stand im 19. Jahrhundert ein Förderturm.
Schon das zweite Rennen, im Mai 1967 ausgetragen, organisierte der neu gegründete MSC in eigener Regie. Auch der Name „Talkessel“ war schnell gefunden. Wer die Strecke so benannt hat? Jahnke, damals Go-Kart-Fahrer mit nationaler und internationaler Erfahrung, hebt die Schultern. Der sei gleich am Anfang spontan entstanden.
Der internationale Durchbruch im Motocross-Rennsport gelang dem Klub 1971. Am ersten Juliwochenende war Teutschenthal erstmals Schauplatz eines Weltmeisterschaftslaufes. In der 250ccm-Klasse wurde um die internationale Trophäe gefahren. Der Belgier Joel Robert, später Weltmeister, stand damals auf dem Teutschenthaler Siegertreppchen ganz oben. Allerdings kam bereits ein Jahr später für den Motocross-Sport das staatlich verordnete Aus für internationale Meisterschaftsprädikate. Joachim Jahnke: „Fahrer aus dem nicht-sozialistischen Ausland durften nicht mehr rein, und wir durften nicht mehr raus.“
Es brach die Zeit der Wettfahrten innerhalb der sozialistischen Ostblock-Staaten an. Der „Pokal für Frieden und Freundschaft“ wurde ins Leben gerufen, für den Teutschenthal im Wechsel mit dem MC Kali Merkers Gastgeber war. „Und wenn wir den Pokal nicht hatten, dann wurde um den Pokal der Kalikumpel gefahren“, so Jahnke. Dabei wurde im „Talkessel“ auch ohne Fahrer aus dem westlichen Ausland weiterhin Motocross vom Feinsten geboten. So verfolgten mehr als 30.000 Fans Mitte der 80er-Jahre die hochklassigen Rennen.
Dennoch hat der MSC nie den Traum aufgegeben, wieder die komplette internationale Motocross-Elite in den „Talkessel“ zu holen. Im Juni 1989 war es soweit: Nach 18 Jahren Zwangspause durften endlich auch wieder westeuropäische Fahrer in Teutschenthal starten. 33.000 Zuschauer jubelten in der 125ccm- und der 250ccm-Klasse Motocrossern aus 13 Nationen zu. Schon zwei Jahre später gab es einen Lauf zur Europameisterschaft und 1993 dann, nach 22 Jahren, die zweite Weltmeisterschaft in Teutschenthal. Seit 1996 drehen die weltbesten Fahrer nun jährlich im „Talkessel“ ihre Runden. In diesem Jahr, in dem der MSC seinen 50. Geburtstag feiert, war es bereits der 23. Weltmeisterschaftslauf.
In den fünf Jahrzehnten „Talkessel“ gab es viele spannende Rennen. Gestern wie Heute stehen die Stars der MX-Szene am Startgatter. Dreifach-Weltmeister Paul Friedrichs war dabei und auch die ostdeutschen Motocross-Helden wie Heinz Hoppe, Helmut Schadenberg oder Torsten Wolff gehörten dazu. Mehrfach-Weltmeister Stefan Everts aus Belgien ging im „Talkessel“ regelmäßig auf Punktejagd. Mehrfach-Weltmeister Antonio Cairoli macht es noch immer. Zu erleben waren und sind großartige deutsche Fahrer wie Pit Beirer und – aktuell wieder mit ganz vorn in der WM – Max Nagl. Auch für die schnellen Motocrosserinnen war der MSC ab den 2000er-Jahren stets gern Gastgeber.
Stolz ist der MSC, dass so großartige Motorsportler wie der Solo-Weltmeister und heutiger US-Superstar Ken Roczen, Mannschaftsweltmeister Marcus Schiffer und Marko Happich, Vize-Weltmeister bei den Seitenwagencrossern, dem Club angehörten. Ein einzigartiger Höhepunkt in der Geschichte des MSC war schließlich die Austragung der Mannschaftsweltmeisterschaft Motocross of Nations 2013 im „Talkessel“, die wegen der unglaublichen Stimmung, der Teilnahme von 41 Mannschaften aus aller Welt und spektakulären Rennen für immer im Gedächtnis von Motocross-Deutschland bleiben wird.
Heute gehören dem MSC 260 Mitglieder an, die im Jahresverlauf dank vieler Stunden ehrenamtlicher Tätigkeit jährlich zwei Rennwochenende organisieren, neben dem „Grand Prix of Germany“ im Mai war es im August wieder ein Lauf zur sachsen-anhaltischen Landesmeisterschaft. „Die Organisation dieser Rennen betrachten wir auch als einen Beitrag zur Nachwuchsförderung, die uns immer wichtig war“, so Clubchef Joachim Jahnke. Aus diesem Grund beteiligt sich der MSC Teutschenthal seit 2013 auch als Stützpunkt des Nachwuchsprojektes ADAC MX Academy. „Das Strahlen in den Kinderaugen nach einem Trainingstag und zu sehen, dass sich unsere Begeisterung für den Motocross-Sport übertragen hat – das ist der Lohn für unser Engagement“, so Jahnke, der selbst ein Strahlen nicht verbergen kann, wenn er über Motocross spricht.
Das ist bei ihm so und bei allen anderen Mitgliedern im MSC, bei den Fahrern und den Organisatoren, bei den fleißigen Küchen-Helferinnen und den Profis in der Technischen Abnahme, im Büro der Rennorganisation und beim Strecken-Aufbau, bei den freundlichen Damen im WelcomeCenter und bei den Pistenarbeitern, den Elektrikern und Schweißern, den Bagger-Fahrern, Fahrerlager-Organisatoren, Parkplatz-Einweisern und Streckenposten-Betreuern, bei den Fahnen-Aufhängern, Eintrittskarten-Verkäufern, Plakat-Anbringern, VIP-Begleitern, bei Ergebnislisten-Austrägern, Reinigungskräften und Startmaschine-Verantwortlichen, beim Kopierer-Team, den Security-Einweisern … und auch beim Rennleiter. Sie alle haben zumeist über viele Rennen hinweg eine Kompetenz erworben, die es – gepaart mit viel Begeisterung für Motocross – möglich macht, dass der „Talkessel“ Teutschenthal heute in der Motocross-Szene weltweit ein Markenzeichen ist und bekannt als DIE Heimstatt in Deutschland für internationalen Motocross.
(Teutschenthal, 9.9.2016)